Den Gegnerinnen auf der Spur
Anic Sophie Davatz
2021 ist in der Schweiz das Thema «Frauenstimmrecht» allgegenwärtig. Neue Publikationen, verschiedene Artikel in Zeitschriften und Online-Medien, facettenreiche Ausstellungen in Museen und diverse Veranstaltungen setzen sich mit dem Thema auseinander. Alle werden daran erinnert, dass die Bürgerinnen der «Confoederatio Helvetica» nun seit fünfzig Jahren das Stimm- und Wahlrecht auf Bundesebene besitzen.
1971 war das Thema «Frauenstimmrecht» ebenfalls allgegenwärtig. Endlich war es gelungen, die Männer der Nation davon zu überzeugen, dass auch die Frauen eine politische Stimme verdient haben. Rund 66%1 der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmbürger entschied sich dafür, dem bislang politisch unmündigem Geschlecht eine Stimme zu geben. Nach rund 22 gescheiterten kantonalen Abstimmungen2 und dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Frauen und Männer war es am 7. Februar 1971 so weit: die Bürgerinnen des kleinen Alpenstaates wurden zu vollwertigen Mitgliedern der Demokratie.
Keine Pionierleistung
50 Jahre Frauenstimmrecht ist allerdings keine Pionierleistung, im Gegenteil. Während Nachbarstaaten wie Österreich und Deutschland den Frauen bereits nach dem Ersten Weltkrieg 1918 das allgemeine Wahlrecht zugesprochen haben und in der Schweiz bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste Stimmen das Frauenstimmrecht forderten, benötigte die direkte Demokratie des zentraleuropäischen Staates mehr als fünfzig Jahre mehr, um die Frauen als mündige Mitglieder des politischen Geschehens anzuerkennen.3 Wieso? Und waren es denn nur Männer, die dagegen waren?
Nun, diese Frage kann man nicht mit einem einzigen, universellen Grund beantworten. Unterschiedliche Faktoren spielten dabei eine Rolle. Beispielsweise wurde das Bürgerrecht und, damit einhergehend, auch das Wahlrecht in der Schweiz von der Wehrfähigkeit hergeleitet und auch die Mehrarbeit der Frauen während den beiden Weltkriegen vermochte das nicht zu ändern. Durch die direkte Demokratie hing die Entscheidung zudem vom Stimmvolk ab, also von den Schweizer Männern, die zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht bereit waren, ihre politischen Rechte zu teilen. Erst im Jahre 1959, stimmten drei Kantone für die Einführung des Frauenstimmrechts. Waadt, Genf und Neuenburg befürworteten das Referendum von Bundesrat Feldmann im Jahr 1959 zugunsten der Einführung des Frauenstimmrechts und ermöglichten es damit den Westschweizerinnen auf Kantons- und Gemeindeebene politisch mitzubestimmen. Dennoch sprachen sich im nationalen Vergleich 66.9% der Wählenden gegen das Referendum aus, so dass die Schweizerinnen auf Bundesebene (und in den allermeisten Kantonen) das Nachsehen hatten.4
Nach diesem gescheiterten Versuch das Frauenstimmrecht auf Bundesebene einzuführen, dauerte es rund zwölf Jahre, bis 1971 erneut bundesweit über das Thema abgestimmt wurde. In diesen Jahren hatte sich jedoch einiges getan: Die Westschweizerinnen und Westschweizer konnten beweisen, dass es nicht schädlich für die Demokratie war, wenn Frauen ebenfalls abstimmten, die 68er-Bewegung bewirkte zusammen mit der sexuellen Revolution ein Umdenken in den herrschenden Rollenverhältnissen und immer mehr Frauen waren berufstätig geworden.5 Der Druck auf die Politik wurde immer stärker und so ging der Abstimmungskampf um das Frauenstimmrecht auf Bundesebene zu Beginn der 70er Jahre in eine nächste Runde.
Solche einschneidenden politischen Entscheidungen wurden (und werden) in der Schweiz immer auch von lautstarken Befürworterinnen und Befürwortern sowie stimmgewandten Gegnerinnen und Gegnern begleitet.
Fleissig versuchen sich die beiden Lager Gehör zu verschaffen und hinterlassen dabei aufschlussreiche Quellen, sozusagen historische Spuren, in Form von Artikeln, Büchern, Flyern und anderen Medien. Diesen Quellen gelingt es nicht selten, das Interesse von Menschen Jahre später zu wecken. So war es dann auch ein Rundbrief, der im Staatsarchiv Luzern aufbewahrt wird, der meine Neugierde auf sich zog.
Rundbrief mit klaren Worten
Bei dem Brief handelt es sich um einen Bestandteil der Kampagne der Gegnerinnen des Frauenstimmrechts. Verfasst worden war er von Ida Monn-Krieger, einer lauten Stimme der Gegnerschaft.6 Die Luzernerin war Präsidentin des Bunds der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht und setzte sich leidenschaftlich gegen die Einführung des Frauenstimmrechts ein. Sie war der Überzeugung, dass Mann und Frau ungleich sind und ihnen deshalb unterschiedliche Aufgaben in der Gesellschaft zufallen würden. Die Frau sei nicht für das Staatswesen verantwortlich und ihre aktive Mitwirkung darin werde eine negative Entwicklung der Gesellschaft zur Folge haben, so ihre Befürchtung.7 In diesem Rundbrief richtete sie das Wort an die Luzernerinnen, welche sie als «ehemalige tapfere Kämpferinnen gegen das Frauenstimmrecht»8 bezeichnete.
Unter anderem warb sie dafür, einen offenen Brief des Zentralkomitees der Konservativen Volkspartei des Kantons Luzern zu unterschreiben. Auch lud sie zur Jahresversammlung des Bunds der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht ein, eine Organisation, die nach der ersten Abstimmung 1959 entstanden war.9
Berufstätige und gebildete Gegnerinnen
Interessanterweise zeigte die Weiterführung der Recherche ein anderes Bild der Gegnerinnen, als man es ohne Nachforschungen vermuten könnte. Auffallend viele der Frauen, denen man begegnet, waren sehr gut ausgebildet, besassen akademische Abschlüsse und waren berufstätig.
Damit entsprachen sie nicht einer konservativen Vorstellung der Frau, die sich um Heim, Kinder und Ehemann kümmert. Auch die Vizepräsidentin des Bundes, Verena Keller, besass einen Abschluss auf Tertiärstufe (promovierte Juristin) und führte ihr eigenes Anwaltsbüro.10
Der Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht erarbeitete 1969 eine Argumentation gegen das Frauenstimmrecht, die zuhanden von Dr. h.c. Ludwig von Moos, dem damaligen Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, eingegeben wurde. In dieser Schrift zeichnete der Bund die Geschichte der Gegnerinnen nach, die immerhin schon seit vierzig Jahren gegen das Frauenstimmrecht kämpften.11
Das Hauptargument vieler solcher Gruppierungen, die natürliche Ungleichheit von Mann und Frau, kann durch die Zeit hindurch verfolgt werden.
Keine Männerkopie
Bereits 1930 schrieb Frau E. Rufer aus Münchenbuchsee in ihrer Schrift «Gegen das politische Frauenstimmrecht, ein Mittelweg» folgendes:
«Auch die intelligenteste und tüchtigste Frau wird in der Politik nie etwas Ganzes leisten können. Das will nicht sagen, dass der Frau etwas von ihrer Intelligenz abgesprochen werden soll, der Grund zu dieser Behauptung liegt mehr in der Natur selber. Gott hat zwei verschiedene Menschen geschaffen, verschieden in Aufgabe und Bestimmung. Mit der Schöpfung der Frau bezweckte er keine Männerkopie. […] Die Politik ist dasjenige Gebiet, dass die Frau am meisten ihren wahren Lebensaufgaben entfremden kann.»12
Die Formulierung in der Eingabe des Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht enthielt im Grunde die gleiche Aussage, wenn geschrieben wurde: «Der gegebene psychische und physische Unterschied zwischen Mann und Frau wirkt sich in sehr erheblichem Mass gerade auf der politischen Ebene aus. Aus diesem Grund scheitert die Gleichberechtigungs-Ideologie an der Wirklichkeit, d.h. an der Vitalsituation der Frau.»13
Nebst der Behauptung, Männer und Frauen seien von Natur aus nicht gleichberechtigt, wurde von den Gegnerinnen und Gegnern auch oft vorgebracht, dass die Frau im «dreckigen» Geschäft der Politik untergehen würde und dass es die Pflicht des «Schweizermannes» sei, die Frauen der Nation von dieser Gefahr zu beschützen. Dieser «Konkurrenzkampf» der Geschlechter würde, so waren die Frauen des Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht überzeugt, schlussendlich zu Problemen in allen Lebensbereichen führen. Die Geschlechter würden überall, beispielsweise auch in der Ehe, in einen direkten Vergleich zueinander geraten: «Unter dem Zwange des durch die Gleichberechtigung in alle Lebensbereiche hineingetragenen Konkurrenzkampfes entwickelt sich auch die Ehe schliesslich zu einer Art Konkurrenzverhältnis, welches dem Recht des Kindes auf den Schutz des Vaters und die Geborgenheit bei der Mutter nicht mehr zu genügen vermag.»14 Dabei werde es zwangsläufig, so die Behauptung, zu einer Vermännlichung der Frau und einer Verweiblichung des Mannes kommen.15
Die Spuren, die uns die Gegnerinnen hinterlassen haben, sind spannend und kontrovers zugleich. Ungewohnt erscheint es, wenn man sich als Historikerin heute auf diese Suche begibt und feststellt, dass andere Historikerinnen etwas mehr als fünfzig Jahre zuvor so eine grundverschiedene Auffassung zu einem Recht der Frauen hatten, das heute in der Schweiz geradezu selbstverständlich scheint. Josefine Steffen nämlich, eine doktorierte Geschichtswissenschaftlerin und Literaturkritikerin, setzte sich genauso leidenschaftlich wie Monn-Krieger gegen eben dieses Recht ein und begründete 1958 auch das Frauenkomitee gegen die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz mit.16
Es sind diese Frauen, die meine Neugier geweckt haben und es sind ihre geschriebenen Worte, die mich ermutigen, immer weiter zu suchen und mehr über die Gegnerinnen des Frauenstimmrechts in der Schweiz herausfinden zu wollen. Schlussendlich mag es aus dieser Perspektive sogar ein Vorteil sein, dass diese Frauen in der Lage waren, sich wortgewandt auszudrücken und dabei eine Vielzahl von geschriebenen Quellen hinterlassen haben. Die Spurensuche geht also weiter und gespannt warte ich auf die Begegnungen, die sie noch mit sich bringen wird.
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Seitz, Werner: Auf die Wartebank geschoben. Der Kampf um die politische Gleichstellung der Frauen in der Schweiz seit 1900, Zürich 2020, S. 12.
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Ebd., S. 11.
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Maissen, Thomas: Geschichte der Schweiz, Baden 2019, S. 297f.
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Ebd., S. 298.
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Ebd.
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StALU PA 1331/12 (Monn-Krieger, Ida: Brief an Luzernerinnen).
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Hafner, Urs: «Gleichmacherei heisst Untergang. Wie konnte man als Frau gegen das Frauenstimmrecht sein? Die Geschichte der Ida Monn-Krieger und ihrer Mistreiterinnen», in: NZZ Geschichte 32, 2021, S. 38–43.
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StALU PA 1331/12 (Monn-Krieger, Ida: Brief an Luzernerinnen).
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StALU PA 1331/12 (Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht: Argumentarium gegen das Frauenstimmrecht, August 1969)
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Hafner, Gleichmacherei heisst Untergang, S. 39f.
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StALU PA 1331/12 (Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht: Argumentarium gegen das Frauenstimmrecht, August 1969).
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StALU PA 439/974 (Rufer, E.: Gegen das politische Frauenstimmrecht, ein Mittelweg)
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StALU PA 1331/12 (Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht: Argumentarium gegen das Frauenstimmrecht, August 1969), S. 15.
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Ebd.
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Ebd.
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Hafner, Gleichmacherei heisst Untergang, S. 40.